VG Frankfurt/Main hebt Untersagungsverfügung der BaFin betreffend die Forderung von sog. „Negativzinsen“ auf | GÖRG Banking & Finance Blog

VG Frankfurt/Main hebt Untersagungsverfügung der BaFin betreffend die Forderung von sog. „Negativzinsen“ auf

Erweiterung der Aufsichtsbefugnisse der BaFin durch § 4 Abs. 1a FinDAG

Mit der Schaffung des § 4 Abs. 1a Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz (FinDAG) im Jahr 2015 wurde der Aufgabenkreis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) um den kollektiven Verbraucherschutz als explizites Aufsichtsziel erweitert. Die Norm ermächtigt die Behörde zur Vornahme von Anordnungen, „die geeignet und erforderlich sind, um verbraucherschutzrelevante Missstände zu verhindern oder zu beseitigen, wenn eine generelle Klärung im Interesse des Verbraucherschutzes geboten erscheint“. Nun hat sich das Verwaltungsgericht Frankfurt/Main mit der bisher ungeklärten Frage nach der Reichweite und den Grenzen der sich daraus ergebenden aufsichtsrechtlichen Befugnisse der BaFin im Bereich des Verbraucherschutzes zu befassen. Der Kern des Problems besteht in der Gemengelage von Aufsichts- und Zivilrecht und der damit korrespondierenden Gefahr, dass die BaFin mit ihren behördlichen Anordnungen der Rechtsprechung der Zivilgerichte vorgreift.

BaFin durfte Erhebung von Negativzinsen nicht untersagen

Mit Urteil vom 24. Juni 2021 (Az. 7 K 2237/20.F) hob das VG Frankfurt/Main eine Verfügung der BaFin auf, mit der diese einer Bank untersagte, Negativzinsen auf Guthaben auf „Cash-Konten“ ihrer Bestandskunden zu erheben. Die klagende Bank teilte ihren Bestandskunden im März 2017 mit, dass sie sich gezwungen sehe, fortan sog. „Negativzinsen“ von damals minus 0,4 % p.a. zu berechnen. Die entsprechende Anpassung des Preis- und Leistungsverzeichnisses stützte die Bank auf eine AGB-Änderungsklausel, wonach das Schweigen der Kunden als Zustimmung gelte. Der BGH erklärte jüngst mit Urteil vom 27. April 2021, XI ZR 26/20, eine AGB-Änderungsklausel mit Zustimmungsfiktion für unzulässig und unwirksam.

Die Begründung des VG Frankfurt/Main sah im Kern so aus:

Zwar komme § 4 Abs. 1a FinDAG neben den spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen für Maßnahmen der BaFin durchaus ein eigenständiger Regelungsgehalt zu. Die Voraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage hätten aber zum maßgeblichen Zeitpunkt, dem Erlass des Widerspruchsbescheides, nicht vorgelegen.

Insofern könne offenbleiben, ob überhaupt ein Missstand im Sinne der Norm – also ein die Interessen einer Vielzahl von Verbrauchern beeinträchtigender Verstoß gegen ein Verbraucherschutzgesetz – vorliege. Denn jedenfalls sei eine generelle Klärung im Interesse des Verbraucherschutzes im Hinblick auf die bereits damals absehbaren Entscheidungen des BGH zur Unwirksamkeit von AGB-Änderungsklauseln mit Zustimmungsfiktion nicht geboten gewesen. Die Prüfung verbraucherschutzrechtlicher Verstöße obliege in erster Linie der sachnäheren ordentlichen Gerichtsbarkeit. Eine Maßnahme der BaFin nach § 4 Abs. 1a FinDAG komme deshalb nur dann in Betracht, wenn entweder eine bereits vorliegende Entscheidung des BGH nicht beachtet bzw. umgesetzt werde oder – sofern zu der Rechtsfrage noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliege – eine Entscheidung des BGH in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sei. Hier sei mit einer höchstrichterlichen Klärung jedoch zeitnah zu rechnen gewesen. Zum einen seien nur neun Monate nach Erlass des Widerspruchsbescheides mehrere Entscheidungen des BGH zur Wirksamkeit der Änderung von AGB der Banken und Sparkassen ergangen, in denen es auf die auch hier relevante Frage angekommen sei, ob ein Schweigen der Kunden als Zustimmung zu einer Vertragsänderung gewertet werden könne. Daraus ergebe sich, dass diese Frage zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung bereits Gegenstand obergerichtlicher Verfahren gewesen sein müsse und zudem Verfahren beim BGH anhängig gewesen seien. Die BaFin hätte daher den Ausgang der bereits anhängigen Verfahren und die damit verbundene Klärung der strittigen und auch für die Untersagungsverfügung maßgeblichen Rechtsfragen durch den BGH abwarten müssen.

Die Entscheidung des VG Frankfurt/Main verdient Zustimmung. Ungeachtet der sonst allgemein gegen die Vorschrift erhobenen verfassungsrechtlichen, rechtsgrundsätzlichen und systematischen Bedenken, hat das VG Frankfurt/Main zu Recht die Subsidiarität der Befugnisse der BaFin im Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1a S. 2 FinDAG betont. Abgesehen davon, dass das auch der gesetzgeberischen Intention entspricht (siehe hierzu BT-Drs. 18/3994, S. 36 f.), wird durch ein solches Verständnis das teilweise befürchtete Konfliktpotential zwischen der Aufsicht und den – traditionell für den (zivilrechtlichen) Verbraucherschutz zuständigen – ordentlichen Gerichten vermieden, jedenfalls aber reduziert. Denn soweit sich Obergerichte mit einer für den Verbraucherschutz relevanten Frage bereits befasst haben oder absehbar befassen werden, hat sich die BaFin im Rahmen von § 4 Abs. 1a S. 2 FinDAG zurückzuhalten und zunächst die dortige Entwicklung und Klärung der betreffenden Rechtsfrage abzuwarten. Auf diese Weise wird der Vorrang der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für die Auslegung des Zivilrechts gewahrt.

Das VG Frankfurt/Main hat abschließend noch deutlich gemacht, dass für § 4 Abs. 1a S. 2 FinDAG auch dann ein Anwendungsbereich verbleibt, wenn eine zivilrechtliche Frage des Verbraucherschutzes abschließend, d. h. höchstrichterlich, geklärt ist. In diesem Fall könne, so das VG Frankfurt/Main, die BaFin einen Missstand im Sinne von § 4 Abs. 1a S. 2 und 3 FinDAG nach den jeweiligen Umständen auch daraus ableiten, dass von der BaFin beaufsichtigte Unternehmen einschlägige höchstrichterliche Entscheidungen zur Anwendung zivilrechtlicher Normen mit verbraucherschützender Wirkung nicht beachten, und auf dieser Grundlage etwa gebotene Anordnungen erlassen. Das steht jedenfalls im Einklang mit der gesetzgeberischen Intention. Denn der Gesetzgeber hat eine solche Konstellation ausdrücklich als Missstand im Sinne von § 4 Abs. 1a S. 2 und 3 FinDAG benannt.

Ausblick: Zinsanpassungsklauseln in Prämiensparverträgen

Aufsehen erregt derzeit auch eine weitere Maßnahme der BaFin auf Grundlage des § 4 Abs. 1a S. 2 FinDAG. So erließ die Behörde am 21. Juni 2021 eine Allgemeinverfügung, mit der Kreditinstitute verpflichtet wurden, ihre Kunden über die Unwirksamkeit der in ihren langfristigen Sparverträgen aus den Jahren 1990 bis 2010 enthaltenen Zinsanpassungsklauseln sowie über das Fehlen einer allgemeinverbindlichen ergänzenden Vertragsauslegung durch die Gerichte zu unterrichten und dies mit der unwiderruflichen Zusage zu verbinden, eine alsbald ergehende diesbezügliche BGH-Rechtsprechung zur Grundlage einer Nachberechnung der Zinsen ab Vertragsbeginn zu machen oder sich mit dem Kunden individuell auf eine neue Zinsanpassungsklausel zu einigen.

Die BaFin sieht in der Ersetzung der vom BGH im Jahr 2004 für unwirksam erklärten Zinsanpassungsklauseln durch die für das Neugeschäft entwickelten Klauseln einen Verstoß gegen die (auch) verbraucherschützende Norm des § 306 Abs. 2 BGB: Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 13.04.2010, XI ZR 197/09) könne die infolge der BGH-Entscheidung aufgetretene Vertragslücke nur durch eine gerichtliche ergänzende Vertragsauslegung oder eine Individualvereinbarung zwischen den Parteien geschlossen werden. Die einseitige Übertragung der für das Neugeschäft entworfenen Klauseln auf das Bestandsgeschäft sei unzulässig gewesen. Außerdem seien die Kunden über die Unwirksamkeit der ursprünglich vereinbarten Zinsanpassungsklauseln und die Notwendigkeit ihrer Ersetzung nicht informiert worden. Schließlich würden auch die neuen Zinsanpassungsklauseln teilweise gegen die Maßstäbe der höchstrichterlichen Rechtsprechung verstoßen.

Die Maßnahme der BaFin wird zum Teil kritisiert. Zudem sind bisher – nach Auskunft der BaFin – bereits mehr als 1.000 Widersprüche gegen die Allgemeinverfügung eingegangen. Sollte die BaFin die Widersprüche der Kreditinstitute zurückweisen, dürfte eine bundesweite Klagewelle drohen. Die Verwaltungsgerichte werden also weitere Möglichkeiten haben, den Anwendungsbereich und die Grenzen von § 4 Abs. 1a S. 2 FinDAG zu konkretisieren und zu präzisieren.

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