Die Immobilienbranche ist für ca. 40 % des Energieverbrauchs und 36 % der CO²-Emissionen innerhalb der Europäischen Union verantwortlich. 80 % der Zeit halten sich Menschen in Gebäuden auf. Zwei Drittel der Kohlenstoffemissionen werden dabei von Wohngebäuden verursacht. Die Immobilienbranche ist damit einer der Sektoren mit dem größten Energieverbrauch. ESG-Kriterien werden mithin im immobilienspezifischen Investmentzyklus immer wichtiger.
Taxonomie-Verordnung
Der Europäische Gesetzgeber hat deshalb mit der Taxonomie-Verordnung (EU) 2020/852 in Kombination mit der delegierten Verordnung (EU) 2021/2139 („delegierte Verordnung“) für ein breites Spektrum an Wirtschaftstätigkeiten im Sektor „Baugewerbe und Immobilien“ technische Bewertungskriterien aufgestellt, bei deren Einhaltung die jeweilige immobilienspezifische Tätigkeit (1) einen wesentlichen Beitrag zu den ersten beiden Umweltzielen „Klimaschutz“ oder zur „Anpassung an den Klimawandel“ leistet und (2) erhebliche Beeinträchtigungen eines oder mehrerer der in der Taxonomie-Verordnung definierter Umweltziele vermieden werden können.
Im Folgenden soll exemplarisch erläutert werden, welche technischen Bewertungskriterien die direkten Adressaten der Taxonomie-Verordnung in der Immobilienbranche (Kapitalverwaltungsgesellschaften von Immobilienfonds sowie (Immobilien-)Unternehmen, die nicht finanzielle Angaben nach Artikel 19a oder Artikel 29a der Richtlinie 2013/34/EU veröffentlichen müssen) bei der Errichtung von Gebäuden (Neubau) einhalten müssen, damit sie den Neubau gegenüber Anlegern bzw. in Berichten als nachhaltig deklarieren dürfen.
Errichtung von Gebäuden (Neubau)
„Neubau“ wird in der delegierten Verordnung definiert als die Entwicklung von Bauprojekten für Wohn- und Nichtwohngebäude durch Zusammenführung finanzieller, technischer und materieller Mittel zur Realisierung der Bauprojekte für den späteren Verkauf sowie Bau vollständiger Wohn- und Nichtwohngebäude auf eigene Rechnung zum Weiterverkauf oder auf Honorar- oder Vertragsbasis.
1. Wesentlicher Beitrag zu einem Umweltziel
Für die Errichtung von Neubauten werden in der delegierten Verordnung zunächst im Anhang I technische Bewertungskriterien aufgestellt, bei deren Einhaltung die Errichtung eines Neubaus einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung des Umweltziels „Klimaschutz“ leistet. Sodann werden im Anhang II der delegierten Verordnung technische Bewertungskriterien festgeschrieben, bei deren Einhaltung die Errichtung eines Neubaus das Umweltziel „Anpassung an den Klimawandel“ erzielt. Nach Artikel 3 Buchstaben a) und b) der Taxonomie-Verordnung ist es für die Deklarierung einer Tätigkeit als nachhaltig dabei ausreichend, dass die Tätigkeit zumindest zu einem Umweltziel einen wesentlichen Beitrag leistet und es durch die Tätigkeit zumindest nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines oder mehrerer der Umweltziele kommt. Nach der herrschenden Meinung muss dabei – trotz des insoweit missverständlichen Wortlauts in Artikel 3 der deutschen Fassung der Taxonomie-Verordnung – eine erhebliche Beeinträchtigung aller Umweltziele vermieden werden.
a) Klimaschutz
(1) Energie Performance Certificate
Die Errichtung eines neuen Gebäudes leistet dann einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz, wenn der Primärenergiebedarf, mit dem die Gesamtenergieeffizienz des errichteten Gebäudes definiert wird, mindestens 10 % unter dem Schwellenwert liegt, der in den Anforderungen für Niedrigstenergiegebäude gemäß den nationalen Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie 2010/31/EU des Europäischen Parlaments und des Rates festgelegt ist. In Deutschland wurde die Richtlinie 2010/31/EU mit dem Gebäudeenergiegesetz („GEG“) umgesetzt. Die Gesamtenergieeffizienz wird dabei für Neubauten anhand eines Ausweises über die Gesamtenergieeffizienz (Energie Performance Certificate, „EPC“) zertifiziert.
(2) Gebäude mit einer Fläche von mehr als 5.000 m²
Gebäude mit einer Fläche von mehr als 5.000 m² müssen sodann – neben der Zertifizierung der Gesamtenergieeffizienz – weitere Anforderungen erfüllen, damit diese einen wesentlichen Beitrag zum Umweltziel des Klimaschutzes leisten. Nach den Regelungen in Anhang I der delegierten Verordnung müssen Gebäude mit einer Fläche von mehr als 5.000 m² bei ihrer Fertigstellung auf Luftdichtheit und thermische Integrität geprüft werden, wobei jegliche Abweichungen von der in der Planungsphase festgelegten Effizienz oder Defekte an der Gebäudehülle Investoren und Kunden gegenüber offengelegt werden müssen. Als Alternative zur Prüfung der thermischen Integrität können robuste und nachvollziehbare Verfahren zur Qualitätsprüfung während des Bauvorgangs erfolgen.
Ferner soll bei Gebäuden mit einer Fläche von mehr als 5.000 m² das Lebenszyklus-Treibhausgaspotential des errichteten Gebäudes für jede Phase im Lebenszyklus berechnet und gegenüber Investoren und Kunden auf Nachfrage offengelegt werden.
b) Anpassung an den Klimawandel
Die Errichtung eines Neubaus leistet dann einen wesentlichen Beitrag zum Umweltziel „Anpassung an den Klimawandel“, wenn sogenannte „Anpassungslösungen“ umgesetzt wurden, mit denen die wichtigsten physischen Klimarisiken, die in Anlage A zum Anhang II der delegierten Verordnung aufgelistet wurden (Temperaturänderungen, Hitzestress, Windverhältnisse etc.) zunächst anhand einer robusten Klimarisiko- und Vulnerabilitätsbewertung ermittelt wurden und sodann erheblich reduziert werden. Der Europäische Gesetzgeber beschreibt dabei unter Ziffer 7.1 des Anhangs II der delegierten Verordnung im Detail, welche Schritte zur Ermittlung der Klimarisiken erforderlich sind und welche Anforderungen an die umgesetzten Anpassungslösungen zu stellen sind.
2. Vermeidung erheblicher Beeinträchtigungen eines oder mehrerer Umweltziele
Weitere Voraussetzung für die Deklarierung eines Neubaus als nachhaltig ist, dass eine erhebliche Beeinträchtigung der anderen in der Taxonomie-Verordnung definierten Umweltziele durch die Errichtung des Neubaus vermieden wird.
(1) Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel
Sofern die Errichtung des Neubaus durch Einhaltung der technischen Bewertungskriterien einen wesentlichen Beitrag zum Umweltziel „Klimaschutz“ leistet und eine erhebliche Beeinträchtigung des Umweltziels „Anpassung an den Klimawandel“ vermieden werden soll, muss eine Klimarisiko- und Vulnerabilitätsbewertung durchgeführt werden (vgl. die Ausführungen in der Anlage A zum Anhang I der Taxonomie-Verordnung). Leistet der Neubau hingegen andersherum einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung des Umweltziels „Anpassung an den Klimawandel“ wird eine erhebliche Beeinträchtigung des Umweltziels „Klimaschutz“ vermieden, wenn (i) der Primärenergiebedarf, mit dem die Gesamtenergieeffizienz des errichteten Gebäudes definiert wird, den Schwellenwert für Niedrigstenergiegebäude nach dem GEG nicht übersteigt, (ii) eine Zertifizierung über ein EPC erfolgt und (iii) zusätzlich das Gebäude nicht für die Gewinnung, Lagerung, Beförderung oder Herstellung fossiler Brennstoffe bestimmt ist. Anders als bei den oben beschriebenen Kriterien zur Leistung eines wesentlichen Beitrags zum Umweltziel „Klimaschutz“ müssen Neubauten mit einer Fläche von mehr als 5.000 m² keine weiteren technischen Bewertungskriterien erfüllen, um eine erhebliche Beeinträchtigung des Umweltziels „Klimaschutz“ zu vermeiden. Daneben muss der im GEG für Niedrigstenergiegebäude vorgesehene Schwellenwert auch nicht um mindestens 10 % unterschritten werden. Stattdessen reicht es aus, wenn der Schwellenwert schlicht nicht überschritten wird. Die Anforderungen die an die Vermeidung einer erheblichen Beeinträchtigung eines anderen Umweltziels gestellt werden, sind mithin etwas geringer als diejenigen, die zwecks Erreichung des Umweltziels eingehalten werden müssen.
(2) Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen
Bei der Errichtung eines Neubaus muss zur Vermeidung erheblicher Beeinträchtigungen des Umweltziels „nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen“ – sofern installiert und sofern es sich nicht um Installationen in Wohngebäudeeinheiten handelt – bei bestimmten sanitärtechnischen Geräten (wie Wasserhähne an Handwaschbecken, Spülarmaturen, Duschen, Toiletten, einschließlich WC-Anlagen, Becken und Spülkästen, Urinale) der Wasserverbrauch mittels Produktdatenblätter, Bauzertifikate oder durch eine von der Union bestehende Produktkennzeichnung bescheinigt werden. Wasserhähne an Handwaschbecken und Spülarmaturen sollen beispielsweise nur einen maximalen Wasserdurchfluss von 6 Litern/min aufweisen.
(3) Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
Zur Vermeidung erheblicher Beeinträchtigungen des Umweltziels „Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft“ sollen 70 % der auf der Baustelle anfallenden nicht gefährlichen Bau- und Abbruchabfälle für die Wiederverwendung, das Recycling und eine sonstige stoffliche Verwertung, einschließlich Ausfüllarbeiten, bei denen Abfall als Ersatz für andere Materialien zum Einsatz kommt, verwendet werden.
(4) Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
Zur Vermeidung erheblicher Beeinträchtigungen des Umweltziels „Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung“ dürfen nur bestimmte Baubestandteile und Baustoffe verwendet werden (z.B. keine Verwendung von Asbest verseuchtem Material; vgl. die jeweilige Anlage C in den Anhängen der Taxonomie-Verordnung). Baubestandteile und Baustoffe, mit denen Bewohner in Berührung kommen, dürfen keine krebserregenden organischen Verbindungen emittieren, Lärm-, Staub- und Schadstoffemissionen müssen verringert werden und brachliegende Flächen sollen einer Untersuchung auf potenzielle Schadstoffe unterzogen werden, z. B. anhand der Norm ISO 18400.
(5) Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme
Zur Vermeidung erheblicher Beeinträchtigung des Umweltziels „Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme“ muss eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden sein und sodann erforderliche Abhilfe- und Ausgleichsmaßnahmen zum Schutz der Umwelt festgelegt werden (vgl. die Anlage D in den Anhängen der Taxonomie-Verordnung) Der Neubau darf zudem nicht errichtet worden sein auf Acker- und Kulturflächen und unbebautem Land mit mittlerer bis hoher Bodenfruchtbarkeit und unterirdischer biologischer Vielfalt oder auf Flächen, die der Definition „Wald“ entsprechen.
Einheitliches europäisches Klassifikationssystem - ECORE-Scoring
Die meisten Neubauten dürften bereits jetzt schon die in der Taxonomie-Verordnung aufgestellten technischen Bewertungskriterien erfüllen. Die Immobilienbranche gilt in diesem Bereich als gut aufgestellt.
Ziel des Europäischen Gesetzgebers ist es jedoch für den gesamten Sektor „Bau und Immobilien“ ein einheitliches europäisches Klassifikationssystem aufzustellen, um zu definieren, wann die jeweilige Wirtschaftstätigkeit („Errichtung von Gebäuden (Neubauten), „Renovierung von Bestandsimmobilien“, „Installation, Wartung und Reparatur von energieeffizienten Geräten“; „Installation, Wartung und Reparatur von Ladestationen für Elektrofahrzeuge in Gebäuden“ (und auf zu Gebäuden gehörenden Parkplätzen)“; „Installation, Wartung und Reparatur von Geräten für die Messung, Regelung und Steuerung der Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden“; „Installation, Wartung und Reparatur von Technologien für erneuerbare Energien; „Erwerb von Gebäuden und Eigentum an Gebäuden“) in der Immobilienbranche als „grün“ bzw. „nachhaltig“ qualifiziert werden darf.
Dieser systematische Ansatz soll verhindern, dass Greenwashing betrieben wird, d.h. eine Praxis bei dem Marktakteure in der Immobilienbranche z.B. bei einer Ankaufstransaktion eine immobilienspezifische Tätigkeit als „grün“ und umweltfreundlich bewerben, um einen Wettbewerbsvorteil (gegebenenfalls sogar einen höheren Kaufpreis) erzielen zu können, obwohl grundlegende Umweltstandards nicht eingehalten sind. Die bereits auf nationaler Ebene vorhandenen Nachhaltigkeitszertifikate wie das britische Gütesiegel BREEAM, das amerikanische Zertifikat LEED und das deutsche Nachhaltigkeitszertifikat DGNB werden dabei vom Europäischen Gesetzgeber für einen grenzüberschreitenden Rechtsverkehr nicht als ausreichend erachtet.
Die Immobilienbranche hat bereits auf die in der Taxonomie-Verordnung aufgestellten technischen Bewertungskriterien reagiert und für den Bereich „Bau und Immobilien“ ein sogenanntes ECORE-Scoring entwickelt, welches sich zukünftig als europäisches Gütesiegel als Marktstandart etablieren soll. Das ECORE-Scoring soll dabei nicht nur die in der Taxonomie-Verordnung festgeschriebenen technischen Bewertungskriterien berücksichtigen, sondern alle Regularien, Gesetze, Verordnungen, Abkommen, sonstigen ESG-Kriterien und auch die bereits vorhandenen Gütesiegel wie DGNB, BREEAM und LEED vereinen.
Fazit & Ausblick
Der mit der Taxonomie-Verordnung einhergehende europäische Regulierungsdruck stellt die gesamte Immobilienbranche vor große Herausforderungen. Die in der Taxonomie-Verordnung aufgestellten Anforderungen haben dabei erhebliche Ausstrahlungswirkung auch auf nicht direkt betroffene Unternehmen wie zum Beispiel Projektentwickler. Diese müssen sich darauf einstellen, dass bei zukünftigen Transaktionen mit Kapitalverwaltungsgesellschaften oder bei Transaktionen mit zur Abgabe nichtfinanzieller Erklärungen verpflichteter Unternehmen, entsprechenden Informationen zur Verfügung gestellt bzw. die Einhaltung der technischen Bewertungskriterien nachgewiesen werden müssen.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Europäische Gesetzgeber bei der Festlegung der technischen Bewertungskriterien nicht nur auf unzählige weitere Richtlinien und Verordnungen verweist, sondern sich zudem dazu entschieden hat, dass die oben beispielhaft beschriebenen technischen Bewertungskriterien einer dauerhaften Aktualisierung und Ergänzung unterliegen. Insbesondere sollen weitere delegierte Verordnungen erlassen werden, um technische Bewertungskriterien auch für die weiteren Umweltziele aufzustellen. Mehr Komplexität dürfte dann noch dadurch entstehen, dass mit den in der Taxonomie-Verordnung geregelten technischen Bewertungskriterien bis jetzt nur ein Teilbereich des ersten Kriteriums „E“ abgebildet worden ist (technische Bewertungskriterien zu zwei von insgesamt sechs Umweltzielen). Bis mithin von einer „ESG-Kriterien-konformen-Immobilie“ gesprochen werden kann, dürfte es noch ein langer Weg sein.