OLG Frankfurt a. M.: Kein Verstoß gegen § 675w S. 4 BGB bei Nachweis der Voraussetzungen des Anscheinsbeweises zur Nutzung einer Zahlungskarte durch den Karteninhaber oder gemeinsamen Verwahrung von Zahlungskarte und PIN | GÖRG Banking & Finance Blog

OLG Frankfurt a. M.: Kein Verstoß gegen § 675w S. 4 BGB bei Nachweis der Voraussetzungen des Anscheinsbeweises zur Nutzung einer Zahlungskarte durch den Karteninhaber oder gemeinsamen Verwahrung von Zahlungskarte und PIN

Im Rahmen der Geltendmachung eines UWG-Unterlassungsanspruchs durch einen Verbraucherverband hatte das OLG Frankfurt a. M. die Frage zu beantworten, ob ein Zahlungsdienstleister gegen § 675w S. 4 BGB verstößt, wenn er sich gegenüber dem Kunden auf das Eingreifen des Anscheinsbeweises dahingehend beruft, dass bei Verwendung einer Zahlungskarte der Karteninhaber selbst die Karte verwendet hat oder ein Dritter dies nur deshalb habe tun können, weil der Karteninhaber Zahlungskarte und PIN gemeinsam verwahrt hat, und die Voraussetzungen des Anscheinsbeweises (insbesondere den Nachweis der praktischen Unüberwindbarkeit der Sicherheitsmerkmale von Zahlungskarten) darlegt.

Sachverhalt

Der beklagte Zahlungsdienstleister hatte gegenüber einer Kundin die Erstattung von Beträgen, die mit einer angeblich entwendeten Debitkarte abgehoben wurden, abgelehnt und sich dabei auf die Regeln des Anscheinsbeweises berufen. Der Zahlungsdienstleister berief sich namentlich darauf, dass sein Zahlungssystem auf dem Einsatz neuester EMV-Chiptechnologie basiere, welches Manipulationen und Kartenfälschungen wirksam verhindere. Die Abhebung habe daher nur unter Eingabe des PIN erfolgen können. Folglich bestehe die Vermutung, dass der Verwender der Karte Kenntnis von der PIN gehabt habe und diese nicht ausreichend geheim gehalten worden sei.

Der Kläger, ein Verbraucherschutzverband, sah darin einen Verstoß gegen § 675w S. 4 BGB und verklagte den Zahlungsdienstleister auf Unterlassung. Der Kläger vertrat die Ansicht, dass der Zahlungsdienstleister gemäß § 675w S. 4 BGB verpflichtet sei, unterstützende Beweismittel vorzulegen, wenn er die Erstattung von Beträgen, die mit gestohlenen Debitkarten abgehoben wurden, ablehnen wolle. Eine Verweigerung unter Berufung auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises sei daher eine irreführende geschäftliche Handlung.

Mit Urteil vom 30. September 2021 (Az. 6 U 68/20) lehnte das OLG Frankfurt a. M. diese Auffassung ab und stellte fest, dass weder ein Verstoß gegen § 675w S. 4 BGB noch eine irreführende geschäftliche Handlung vorlag.

Kein Verstoß gegen § 675w S. 4 BGB durch Darlegung der Voraussetzungen des Anscheinsbeweises

Der Gericht zeichnete in seiner Entscheidung zunächst die Entwicklung der Rechtsprechung zu den Grundsätzen des Anscheinsbeweises im Zusammenhang mit der Verwendung von Zahlungskarten nach und entschied, dass der Anwendung des Anscheinsbeweises und der Berufung auf diesen die Vorschriften des § 675w S. 3 und 4 BGB nicht entgegenstünden.

Der BGH habe bereits in seinem Urteil vom 26. Januar 2016 (Az. XI ZR 91/14) entschieden, dass die Vorschrift des § 675w S. 3 BGB der Anwendung des Anscheinsbeweises nicht entgegenstehe, sondern vielmehr besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Nachweises stelle. Nach Auffassung des Gerichts gelte das Gleiche auch nach Einfügung von § 675w S. 4 BGB, mit welchem Art. 72 der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie umgesetzt worden sei. Für die Anwendung des Anscheinsbeweises spreche zudem das vorgenannte BGH-Urteil, da es zwar vor Inkrafttreten des § 675w S. 4 BGB, aber nach Verabschiedung der Zweiten Zahlungsrichtlinie ergangen sei.

Die unterstützenden Beweismittel im Sinne von § 675w S. 4 BGB könnten auch im Nachweis der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises bestehen, d. h. in der Darlegung der praktischen Unüberwindbarkeit der Sicherheitsmerkmale von Zahlungskarten.

Ergänzend wies das Gericht noch darauf hin, § 675w S. 4 BGB lasse sich nicht entnehmen, dass der Zahlungsdienstleister verpflichtet wäre, die unterstützenden Beweismittel bereits in der außergerichtlichen Auseinandersetzung vorzulegen.

Keine irreführende geschäftliche Handlung bei erkennbarer Äußerung einer vertretbaren Rechtsansicht

Das Gericht lehnte aber selbst bei – unterstellter – Annahme eines Verstoßes gegen § 675w S. 4 BGB eine irreführende geschäftliche Handlung ab.

Irreführende Angaben könnten nur Äußerungen sein, die sich auf Tatsachen bezögen und daher inhaltlich nachprüfbar seien. Selbst wenn daher ein Verstoß gegen § 675w S. 4 BGB unterstellt würde, habe der Zahlungsdienstleister lediglich eine vertretbare Rechtsauffassung und damit keine falsche Tatsache geäußert. Es müsse dem Zahlungsdienstleister bei der Abwehr von Ansprüchen unbenommen bleiben, einen entsprechenden Rechtsstandpunkt einzunehmen, unabhängig davon, ob dieser zutreffe. Es sei zudem für die Kundin erkennbar gewesen, dass es sich um eine im Rahmen der Rechtsverteidigung geäußerte Rechtsansicht handelte, so dass die Äußerung auch nicht zur Täuschung geeignet gewesen sei.

Bestätigung bisheriger OLG-Rechtsprechung

Das Urteil verwies auf und bestätigte die bereits in einem aktuellen Beschluss des OLG Bremen (Az. 1 W 4/21) geäußerte Rechtsauffassung zur weiteren Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises auch im Lichte des § 675w S. 4 BGB.

Wie sich der BGH, sollte er zukünftig Gelegenheit erhalten, sich mit den streitigen Frage zu befassen, zu diesen positionieren wird, bleibt abzuwarten. Das OLG Frankfurt a. M. hat die Revision im Streitfall jedenfalls nicht zugelassen.

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