Darlehensverträge mit variablen Zinssätzen
Das Landgericht Berlin hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob ein Darlehensnehmer eine „Zinszahlung“ des Darlehensgebers verlangen kann, wenn sich aus einer rein rechnerischen Anwendung der vertraglich zugrunde gelegten Zinsformel in dem betreffenden Zeitraum ein „negativer Zins“ ergibt.
Zwar sehen Darlehensverträge in der Regel variable Zinssätze vor, die sich an zugrunde gelegten Referenzzinssätzen orientieren. Gerade bei älteren Darlehensverträgen wurde zum Zeitpunkt des Abschlusses aber nahezu ausnahmslos überhaupt nicht bedacht, dass aufgrund solcher Zinsformeln auch „negative Zinsen“ entstehen (können). Nicht selten fehlt es daher – so auch in dem der Entscheidung des Landgerichts zugrundeliegenden Fall – an ausdrücklichen vertraglichen Regelungen für den Fall einer solchen Zinsentwicklung. Während im Jahr 2016 noch eine Kammer des Landgerichtes Berlin (Urteil vom 28.12.2016, Az. 10 O 106/16) von einer Zahlungsverpflichtung der Darlehensgeberin ausging (das Urteil wurde in der zweiten Instanz im Ergebnis zwar bestätigt, allerdings mit anderer Begründung und ohne Positionierung des Berufungsgerichtes zu der eigentlich interessanten Frage nach der „Zins“-Zahlungspflicht des Darlehensgebers), widerspricht nunmehr mit Urteil vom 14. September 2021 (Az. 21 O 502/19) eine andere Kammer desselben Gerichtes: Eine Pflicht zur „Zinszahlung“ durch die Darlehensgeberin sah die zuständige Kammer – zu Recht – nicht mehr als vom Darlehensvertrag gedeckt an. Die Kammer kam schon durch eine einfache Vertragsauslegung zu diesem Ergebnis.
Keine rein mathematische Anwendung der Zinsformel
Die zuständige Kammer nahm im Rahmen einer einfachen Vertragsauslegung eine Gesamtschau der vertraglichen Regelungen vor:
Eine variable Zinsklausel könne nicht rein mathematisch betrachtet werden. Vielmehr seien auch der historische Kontext und die übrigen Regelungen des Vertrages zu berücksichtigen. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses (im Streitfall: 2006) sei von sog. „Negativzinsen“ bei von Banken ausgereichten Darlehen keine Rede gewesen. Die Frage „negativer Zinsen“ habe sich bisher (ausgehend vom Zeitpunkt des Vertragsschlusses) allein im Einlagengeschäft gestellt (und dort auch gänzlich unabhängig von der allgemeinen Zinsentwicklung). Ohne ausdrücklich anderslautende Vereinbarung könne im Rahmen eines Kreditgeschäfts aber nicht davon ausgegangen werden, dass nach dem Willen der Parteien auch die Zahlung „negativer Zinsen“ durch den Darlehensgeber beabsichtigt gewesen sei. Das widerspräche dem gesetzlichen Leitbild. Das Landgericht stellte ferner fest, dass die Vertragsklauseln im konkreten Fall nur Regelungen zum Zahlungsverhalten der Darlehensnehmerin enthielten; der umgekehrte Fall einer Zahlungspflicht der Kreditgeberin sei gerade nicht bedacht worden. Dass andere Banken im selben Zeitraum etwaige Zinstauschgeschäfte ohne betragsmäßige Beschränkung (sog. „Zins-Swaps“) angeboten hätten, sei unbeachtlich, da diese gerade keine Darlehen zum Gegenstand gehabt hätten. Bei der früheren Entscheidung im Jahr 2016 sah die damals zuständige Kammer hierin noch ein Argument für eine generelle Handelsüblichkeit von „Negativzinsen“ auch bei Darlehensverträgen, ohne allerdings zu erläutern, weshalb Zinsspekulationen mit schlichten Darlehensverträgen gleichgesetzt werden sollten. Selbst eine vorübergehende Zahlung der „Negativzinsen“ durch den Darlehensgeber – so lag der Fall hier – führe schließlich nicht zu einer Zahlungsverpflichtung für nachfolgende Zeiträume, wenn die Zahlungen von allein mit der Abwicklung betrauten, gerade nicht zur Vertragsinterpretation berufenen Stellen veranlasst worden seien.
„Negativzins“ liefe Konzeption des Darlehensvertrages zuwider
Die Entscheidung des Landgerichts verdient Zustimmung. Die Entwicklung hin zu „negativen Zinsen“ ist völlig ungewöhnlich und war zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses von keiner der Parteien zu erwarten. Daher muss diese bei der Bestimmung der Parteiinteressen auch außer Betracht bleiben. Hinzu kommt, dass „negative Zinsen“ der typisierten Systematik des Darlehensvertrages zuwiderliefe: Die Zinszahlung ist die Hauptleistungspflicht des Darlehensnehmers. Die Vorschrift des § 488 BGB geht daher gerade nicht von „negativen Zinsen“ aus. Zwar besteht nicht zwingend eine Zinszahlungspflicht des Darlehensnehmers (so etwa bei unentgeltlichen Darlehen, vgl. § 488 Abs. 3 S. 3 BGB); keinesfalls soll aber der Darlehensgeber eine Zinszahlung leisten müssen. In der Entrichtung von Zinsen ist letztlich die Vergütung für die Kapitalüberlassung durch den Darlehensgeber zu sehen. Ein „negativer Zins“ käme einem von diesem zu zahlenden Verwahrentgelt gleich, was die in § 488 BGB vorgesehene Konzeption in ihr Gegenteil verkehrte. Der BGH wies schon mit Urteil vom 14. April 2010 (Az. XI ZR 197/09) darauf hin, dass eine Auslegung, nach der sich ein Zahlungsanspruch in eine Zahlungspflicht umwandelte, nicht interessengerecht sein könne. Die Entscheidung erging zwar in einem anderen Kontext; die dahinterstehende Erwägung greift aber auch bei einem Darlehensvertrag.
Im Jahr 2016 stützte sich die damals zur Entscheidung berufene Kammer des Landgerichtes noch auf den Hinweis, dass die Darlehensgeberin jedenfalls über die gesamte Laufzeit betrachtet einen positiven Überschuss erwirtschaftet habe und daher letztlich sehr wohl von einer Vergütung durch die Darlehensnehmerin auszugehen sei. Das überzeugt aber ebenso wenig: Auf eine solche Gesamtbetrachtung kann es schon deshalb nicht ankommen, weil die Zahlung eines Zinses die Kapitalbelassung immer nur für eine Zinsperiode abgelten soll. Eine Zinszahlungspflicht ist somit für jede Zinsperiode separat zu bestimmen.
Eine Entscheidung des BGH in dieser Frage steht noch aus. Im Gegensatz hierzu stellte der Österreichische Oberste Gerichtshof (öOGH) bereits im Jahr 2017 (Entscheidung vom 21. März 2017, Az. 10 Ob 13/17k) fest, dass beim Kreditvertrag allgemein ein übereinstimmender Parteiwille über Vertragsgegenstand und -inhalt bestehe, der eine Zahlungsverpflichtung der kreditgebenden Bank ausschließe. Ein redlicher Kreditnehmer könne nicht „damit rechnen, dass der Kreditgeber […] einer Zahlungspflicht in Form von ,Negativzinsen‘ zustimmen wird und damit möglicherweise weniger zurückerhält als er zur Verfügung gestellt hat“.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es bleibt abzuwarten, ob sich im Falle einer Berufungseinlegung auch das Kammergericht und ggf. auch der BGH in diese – jedenfalls für den im Streitfall maßgeblichen Zeitpunkt an sich sofort einleuchtende – Richtung positionieren werden.