Mit Urteil vom 04.02.2021 (Az. III ZR 7/20) hat sich der BGH erneut mit der Darlegungslast des durch ein „Schneeballsystems“ geschädigten Anlegers im Zivilprozess und der sog. sekundären Darlegungslast des Prozessgegners befasst. Danach genügt der „Geschädigte […] seiner Darlegungslast regelmäßig bereits dadurch, dass er Umstände vorträgt, die das (weitere) Betreiben eines solchen ‚Schneeballsystems‘ als naheliegend erscheinen lassen. Den Gegner trifft in solchen Fällen eine sekundäre Darlegungslast. Er hat sich im Rahmen der ihm nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei zu äußern; anderenfalls gilt das Vorbringen des Geschädigten als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO).“
Der BGH urteilte entlang seiner bisheriger Rechtsprechungslinie zur sekundären Darlegungslast des Schädigers. Von Interesse ist das BGH-Urteil v.a. deshalb, weil es zeigt, wie sich die Ergebnisse eines Strafprozesses, insbesondere die in dem Strafurteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen, gewinnbringend in einen Zivilprozess überführen lassen und was die rechtlichen Anknüpfungspunkte dafür sein können.
Deshalb gibt das genannte BGH-Urteil Anlass dazu, diese prozessuale und beweisrechtliche Thematik noch einmal näher zu beleuchten.
Grundlagen: Die freie Überzeugungsbildung des Zivilrichters und das Strafurteil
Gib mir die Tatsachen, ich werde dir das (daraus folgende) Recht geben (da mihi facta, dabo tibi ius). Übersetzt in BGH-Prosa klingt das so: „Nach ständiger Rechtsprechung genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen“ (BGH, Beschl. v. 12.09.2012, IV ZR 177/11, juris, Tz. 12; Versäumnisurt. v. 04.02.2021, III ZR 7/20, juris, Tz. 18).
Ist im Zivilprozess eine solchermaßen „dargelegte“ Tatsache streitig, muss Beweis über sie erhoben werden. Im Vertrauen auf die „Bildung, Integrität und unabhängige Stellung“ des Richters fordert § 286 ZPO den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden (vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 286 ZPO, Rn. 13; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 286 ZPO, Rn. 1). Das bedeutet, der Richter ist nur an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und ausnahmsweise gesetzliche Beweisregeln gebunden; ansonsten darf er aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten. So darf er beispielsweise einer Partei mehr glauben als einem beeideten Zeugen oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung feststellen (vgl. KG, Beschl. v. 24.09.1998, 12 U 4638/97, juris, Ls.; Beschl. v. 02.07.2009, 12 U 113/09, juris, Tz. 5). Der Richter entscheidet daher grundsätzlich frei darüber, ob der Beweis einer (dargelegten) Tatsache erbracht ist, so auch über den Beweiswert einzelner und das Verhältnis mehrerer Beweismittel sowie über das Gewicht einer Beweisaufnahme im Verhältnis zur eigenen Lebenserfahrung (vgl. Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 286 ZPO, Rn. 9).
Häufig ist aber bereits die Darlegung der Tatsachen problematisch, weil ein Anspruchsteller oft selbst keine unmittelbare Kenntnis von den relevanten Vorgängen hat (vgl. BGH, Beschl. v. 12.09.2012, IV ZR 177/11, juris, Tz. 12). Vor allem dann, wenn er selbst nicht dabei war oder keinen Zugriff auf Informationen über interne Abläufe beim Prozessgegner hat. Er muss also versuchen, soweit als ihm möglich, das – rechtlich relevante – Geschehen dem Gericht vorzutragen (darzulegen). In der Praxis kommt es dabei immer wieder vor, dass Anspruchsteller versuchen, die Ergebnisse eines Strafprozesses, insbesondere die in einem Strafurteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen, für ihren Tatsachenvortrag im Zivilprozess fruchtbar zu machen. Die Rechtsprechung gestattet das sehr weitgehend.
Ein Zivilgericht darf sich, um sich eine eigene Überzeugung davon zu bilden, ob sich ein bestimmtes Geschehen zugetragen hat, auf ein dazu ergangenes Strafurteil stützen (vgl. BAG, Urt. v. 23.10.2014, 2 AZR 865/13, juris, Tz. 26).
Zwar folgt aus dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung des Zivilrichters (i.S.v. § 286 Abs. 1 ZPO), dass er sich seine Überzeugung selbst bilden muss und daher auch an einzelne Tatsachenfeststellungen in einem Strafverfahren nicht gebunden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 12.09.2012, IV ZR 177/11, juris, Tz. 14; Beschl. v. 16.03.2005, IV ZR 140/04, juris, Tz. 2; BAG, Urt. v. 23.10.2014, 2 AZR 865/13, juris, Tz. 26). Trotzdem haben strafgerichtliche Feststellungen „große Bedeutung“ (Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 286 ZPO, Rn. 9). Der Zivilrichter darf nämlich „bei engem rechtlichen und sachlichen Zusammenhang von Zivil- und Strafverfahren“ rechtskräftige Strafurteile nicht einfach völlig unberücksichtigt lassen, er ist vielmehr gehalten, sich mit den Feststellungen auseinanderzusetzen, die für seine eigene Beweiswürdigung relevant sind (vgl. BGH, Beschl. v. 16.03.2005, IV ZR 140/04, juris, Tz. 2; ebenso bereits: Urt. v. 27.09.1988, XI ZR 8/88, juris, Tz. 16).
Insofern können strafgerichtliche Feststellungen im Zivilprozess, wenn eine Partei sich zu Beweiszwecken darauf beruft, als Beweismittel verwertet werden (vgl. KG, Beschl. v. 02.07.2009, 12 U 113/09, juris, Tz. 27, unter Verweis darauf, dass „[b]ereits das Reichsgericht […] die Verwertung von Feststellungen in einem vorausgegangenen Strafurteil in mehreren Entscheidungen für zulässig erachtet“ habe). So sind Strafurteile als Urkunden gemäß §§ 415, 417 ZPO im Rahmen der Tatsachenfeststellung verwertbar (vgl. BAG, Urt. v. 23.10.2014, 2 AZR 865/13, juris, Tz. 26, m.w.N.; OLG München, Beschl. v. 24.10.2011, 7 U 2719/11, juris, Tz. 4; OLG Köln, Urt. v. 11.01.1991, 19 U 105/90, juris, Tz. 6). Dabei können auch schriftliche Aussagen sowie Protokolle über die Aussagen von Zeugen in einem anderen Verfahren im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden, wenn die beweispflichtige Partei dies beantragt (vgl. BGH, Urt. v. 13.06.1995, VI ZR 233/94, juris, Tz. 8).
Zwar darf das Zivilgericht die in dem Strafurteil enthaltenen Feststellungen nicht einfach unbesehen übernehmen, sondern es hat die in der Beweisurkunde dargelegten Feststellungen einer eigenen kritischen Überprüfung zu unterziehen (vgl. BGH, Urt. v. 02.03.1973, V ZR 57/71, juris, Tz. 6) und den Beweiswert der früheren, lediglich urkundlich in den Worten des Strafrichters belegten Aussage sorgfältig zu prüfen (vgl. BAG, Urt. v. 23.10.2014, 2 AZR 865/13, juris, Tz. 26; BGH, Urt. v. 13.06.1995, VI ZR 233/94, juris, Tz. 13). Der Zivilrichter darf jedoch in freier Überzeugung entscheiden, ob er die vom Strafrichter festgestellten Tatsachen für wahr erachtet (vgl. BAG, Urt. v. 23.10.2014, 2 AZR 865/13, juris, Tz. 26; OLG Köln, Urt. v. 11.01.1991, 19 U 105/90, juris, Tz. 7). Dabei ist selbstverständlich zu berücksichtigen, dass im Strafurteil Beweisergebnisse nur wiedergegeben werden, so dass diese nicht wie vom erkennenden Zivilgericht selbst erhobene Beweise behandelt werden können, sondern als Darlegung des Strafrichters zu würdigen sind (vgl. OLG Köln, Urt. v. 11.01.1991, 19 U 105/90, juris, Tz. 7).
Wird also ein Strafurteil im Zivilprozess vorgetragen, erhöhen die in dem Strafurteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen die sog. (sekundäre) Darlegungslast des (bestreitenden) Prozessgegners (vgl. OLG München, Beschl. v. 24.10.2011, 7 U 2719/11, juris, Tz. 4; Beschl. v. 16.04.2007, 9 U 3865/06, juris, Tz. 44; ebenso: Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 286 ZPO, Rn. 9). Eine solche Erhöhung der Darlegungslast führt dazu, dass der Prozessgegner substantiiert dartun muss, dass und aus welchen Gründen das Strafurteil fehlerhaft ist; ein einfaches Bestreiten des durch das Strafgericht festgestellten Sachverhalts nicht ist dann nicht ausreichend und der Prozessgegner muss darlegen, dass und weshalb sich der im Strafurteil festgestellte Sachverhalt so nicht zugetragen hat (vgl. OLG München, Beschl. v. 24.10.2011, 7 U 2719/11, juris, Tz. 4).
Kommt der Prozessgegner dieser (sekundären) Darlegungslast nicht nach, ist der im Strafurteil festgestellte Sachverhalt auch im Zivilverfahren zu Grunde zu legen und vom Zivilrichter eigenständig zu würdigen (vgl. OLG München, Beschl. v. 24.10.2011, 7 U 2719/11, juris, Tz. 4).
In der Regel wird dabei das Zivilgericht den strafgerichtlichen Feststellungen folgen (müssen), sofern nicht – im Rahmen der erhöhten Darlegungslast des Gegners – gewichtige Gründe für deren Unrichtigkeit vorgebracht werden (vgl. KG, Beschl. v. 02.07.2009, 12 U 113/09, juris, Tz. 27; vgl. OLG Köln, Urt. v. 11.01.1991, 19 U 105/90, juris, Tz. 7), etwa indem erneut Beweisanträge gestellt werden oder das aktuelle Parteivorbringen Anlass zu Zweifeln gibt (Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 286 ZPO, Rn. 9).
Der Fall
Die Parteien stritten über Schadensersatzansprüche nach einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage. Konkret ging es um ein Anlagemodell namens „Cashselect“. Angeboten hatte dieses die „B. L. S. AG“, die ihrerseits beherrscht wurde von der – in der Schweiz ansässigen und in Deutschland tätigen – S. AG, die wiederum vom Beklagten als alleinigem Hauptentscheidungsträger gesteuert wurde.
Zum Anlagemodell: Anleger sollten ihre bisherigen Verträge zur Vermögensanlage (etwa Bausparverträge, Versicherungen u. ä. Kapitalanlagen) kündigen, um die Rückkaufswerte dann der S. AG zu überlassen. Diese sollte das Kapital gewinnbringend in andere Unternehmen investieren und zu einem späteren Zeitpunkt entweder ratierlich oder als Einmalbetrag (nebst „erheblicher Verzinsung“) wieder an die Anleger auszahlen. Die S. AG verpflichtete sich entsprechend gegenüber den Anlegern zur Rück- und Zinszahlung, obgleich sie keinerlei Erlöse mit den Anleger-Geldern erzielte. Tatsächlich hatte der Beklagte damals nicht vor, die eingenommenen Gelder in die versprochenen Vermögensanlagen (gewinnbringend) zu investieren, sondern wollte sie zugunsten der S. AG vereinnahmen, um dadurch unter anderem sein Gehalt zu bestreiten sowie Rendite- und Rückzahlungsforderungen der Alt-Anleger zu befriedigen, um diese in Sicherheit zu wiegen und zu weiteren Einzahlungen zu bewegen. Dabei rechnete der Beklagte damit, dass die S. AG letztlich zahlungsunfähig werden würde.
Im Mai 2010 änderte die S. AG ihr „Geschäftsmodell“; sie wollte nunmehr Einnahmen durch eine angeblich erfolgversprechende Beteiligung an – zunächst noch im Aufbau befindlichen – Geothermie-Projekten anderer Unternehmensträger erwirtschaften.
Der Kläger schloss im Februar 2012 einen entsprechenden Anlagevertrag mit der S. AG über den Rückkaufwert seiner Lebensversicherung. Den eingesetzten Betrag sollte er ratierlich mit Gewinn binnen 15 Jahren „nachrangig zu den Forderungen sonstiger gegenwärtiger und zukünftiger Gläubiger“ ausgezahlt erhalten.
Der Kläger behauptete im Prozess, die S. AG habe auch unter der Ägide des geänderten Anlagemodells das Schneeballsystem weiterbetrieben. Dieses Vorbringen hatte das Berufungsgericht als unsubstantiiert und damit unschlüssig zurückgewiesen.
Anfang März 2012 schritt die Schweizer Finanzmarktaufsicht gegen die S. AG ein und untersagte den Anlagevertrieb. Auch die Nachfolgegesellschaft, auf welche die S. AG zuvor die Anlegerverträge übergeleitet hatte, war Mitte 2013 schließlich insolvent.
Der Beklagte war mittlerweile (Oktober 2018) im Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der S. AG rechtskräftig wegen (gewerbs- und bandenmäßigen) Betruges im Tatzeitraum 2009/2010 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Der Kläger, der keine Auszahlungen erhalten hatte, verlangte die Rückzahlung des von ihm eingesetzten Kapitals und behauptete bereits erstinstanzlich unter Hinweis auf das gegen den Beklagten ergangene Strafurteil, dass auch das seit Mai 2010 geänderte Anlagemodell – zumindest bis zur gedachten Gewinnverzinsung, zu der es nicht mehr gekommen sei – auf einem sogenannten „Schneeballsystem“ beruht habe, nach dem Anleger-Verträge älteren Datum mit dem Geld aus Anleger-Verträgen jüngeren Datums bedient worden seien.
Auf der Grundlage dieses Vortrags kamen Ansprüche gegen den Beklagten nach § 826 BGB und nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB in Betracht. Dabei ist – so der BGH – in Fällen sog. Schneeballsysteme die Absicht des Täters, Anleger zu schädigen, so greifbar, dass der Sittenverstoß unmittelbar aus dem Gegenstand der Anlage selbst abgeleitet werden könne. Denn hier hänge die Rendite der Kapitalanleger davon ab, dass fortwährend neue Anleger für das System in einem Maße gefunden würden, das aufgrund der Marktverhältnisse vernünftigerweise nicht zu erwarten sei. In diesem Fall nähmen die Betreiber, denen die Marktverhältnisse bekannt seien, Anlegerschäden billigend in Kauf.
Die Entscheidung des BGH
Im Ausgangspunkt muss der Geschädigte die tatbestandlichen Voraussetzungen der Anspruchsnormen (hier: § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB und § 826 BGB) hinreichend substantiiert darlegen und erforderlichenfalls beweisen. Das entspricht den allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen im Zivilprozess.
Diese Nachweisschwelle wird jedoch abgesenkt, wenn die primär darlegungsbelastete Partei – hier der geschädigte Anleger – keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen hat und es ihm auch nicht möglich ist, den Sachverhalt weiter aufzuklären, während der Prozessgegner (Schädiger) die wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. In diesen Fällen trifft den Schädiger die sog. sekundäre Darlegungslast, in deren Rahmen es ihm auch obliegt, zumutbare Nachforschungen zu unternehmen.
In einer solchen Konstellation muss also im ersten Schritt der geschädigte Anleger „nur“ die erforderlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs schlüssig vortragen. Vereinfacht gesagt: Er muss eine Geschichte vortragen (etwa Zeitpunkt des Vertragsschlusses, Bestehen eines Schneeballsystems etc.), die, wenn sie wahr ist, zur Schadenersatzpflicht des Prozessgegners führt. Es reicht dabei aus, dass die wesentlichen Eckpunkte vorhanden sind und sich damit ein Schadenersatzanspruch begründen lässt; weitere Einzeltatsachen muss der Anleger nicht darlegen; er wird sie in aller Regel auch nicht kennen und rein faktisch Schwierigkeiten haben, sich Kenntnis darüber zu verschaffen.
Deshalb ist es dann Sache des Schädigers, sich im Rahmen der ihm nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen des beweispflichtigen Anlegers substantiiert zu äußern. Macht er das nicht, genügt er nicht seiner sekundären Darlegungslast und die Behauptung des Anlegers gilt dann nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Den Beweis muss der Anleger erst dann antreten, wenn der Schädiger seiner sekundären Darlegungslast genügt, etwa indem er Umstände vorträgt, die gegen die Geschichte des Anlegers sprechen.
Das sind die ehernen vom BGH aufgestellten Grundsätze, die schon seit langem gelten. Nach diesen Maßstäben genügte im konkreten Fall der Sachvortrag des geschädigten Anlegers. Nach dessen Darstellungen war das von dem Beklagten verantwortete Geschäftsmodell von vornherein auf Täuschung und Schädigung der Kunden angelegt, weshalb nach Ansicht des BGH ein vorsätzlicher – zumindest billigend in Kauf genommener – Sittenverstoß ebenso schlüssig vorgetragen war wie ein (bedingt) vorsätzlicher Eingehungsbetrug.
Der Klägervortrag hatte indes eine Besonderheit: Der geschädigte Anleger stützte sich für seinen Sachvortrag vornehmlich auf das gegen den Beklagten in 2018 wegen (gewerbs- und bandenmäßigen) Betruges ergangene Strafurteil, das jedoch den Tatzeitraum März 2009 bis Mai 2010 betraf und damit gerade nicht den Zeitraum, in dem der Kläger seinen Anlagevertrag mit der S. AG abschloss (Februar 2012). Im Gegenteil enthielt das Strafurteil sogar den Hinweis auf die im Frühjahr 2010 – mithin deutlich vor der Beteiligung des Klägers – geänderte Geschäftsstrategie der S. AG, wonach die eingenommenen Kundengelder in Geothermie-Projekte investiert werden sollten.
Gleichwohl bejahte der BGH die Schlüssigkeit des Klägervortrags, was die sekundäre Darlegungslast des Schädigers auslöste.
Zur Begründung führte der BGH an, dass allein die im Mai 2010 geänderte Geschäftsstrategie der S. AG – bei lebensnaher Betrachtung – nicht ausgereicht habe, um das zuvor etablierte Schneeballsystem und dessen Folgewirkungen zu beseitigen, da bloße Hoffnungswerte noch keinen wirtschaftlichen Ausgleich schüfen. Insofern bestehe – so der BGH – nur „eine nicht durch greifbare Tatsachen untermauerte und damit unrealistische Hoffnung, mit dem in Aussicht genommenen Geschäftsmodell könne eine bereits begonnene kriminelle Praxis beendet werden“. Zumal dann, wenn absehbar sei, dass eingenommene Gelder weiterhin zweckwidrig verwendet würden und nicht in das avisierte Anlageobjekt flössen, sondern etwa verwendet werden müssten, um andere – drängendere – Verbindlichkeiten zu bedienen.
Wegen dieser Umstände sei der Sachvortrag des Klägers eben nicht unsubstantiiert, auch wenn der sich maßgeblich auf das Strafurteil gestützt habe, das inhaltlich einen anderen (deutlich vorgelagerten) Tatzeitraum betreffe und in dem ein Wechsel des Geschäftsmodells referenziert werde.
Das vorherige Tatgeschehen und der vom Kläger geschlossene Vertrag müssten in einem einheitlichen Zusammenhang betrachtet werden. Es reiche daher zur schlüssigen Anspruchsdarlegung aus, wenn der Kläger vortrage, dass der Beklagte auch nach dem Geschäftsmodellwechsel weiterhin ein Schneeballsystem (mit der Gefahr des jederzeitigen Totalverlustes) betrieben habe. Nähere Einzelheiten dazu, etwa zum praktizierten Geschäftsmodell, der wirtschaftlichen Situation und Liquidität der S. AG sowie der Kenntnis des Beklagten davon habe es nicht bedurft. Mangels näherer Kenntnisse des Klägers von den internen Vorgängen bei der S. AG bzw. ihren Nachfolgeunternehmen müsse er nur ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte vortragen, die eine durch den Beklagten beeinflusste Weiterführung des Schneeballsystems als naheliegend erscheinen ließen. Das habe der Kläger getan.
Außerdem sei es angesichts der vom Berufungsgericht für den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung über das Vermögen der S. AG im Jahr 2013 festgestellten Vermögensverhältnisse und der ebenfalls noch im Jahr 2013 eingetretenen Insolvenz der Nachfolgegesellschaft unrealistisch, dass die Schneeballsystem-Praxis zuvor bereits nachhaltig beseitigt worden sei. Die Höhe der Schulden lege vielmehr die Befürchtung nahe, dass es – entsprechend der bisherigen Geschäftspraxis – absehbar gewesen sei, auf Kundengelder zurückgreifen zu müssen, um die Forderungen anderer Anleger aus älteren Verträgen zu erfüllen, und der Beklagte diese Entwicklung für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen habe.
Angesichts dessen habe vom Kläger in diesem Verfahrensstadium nicht die Darlegung weiterer tatsächlicher Anhaltspunkte zur Substantiierung seiner Behauptungen verlangt werden dürfen. Vielmehr wäre es Sache des Beklagten gewesen, eine qualifizierte Gegendarstellung abzugeben und konkret zu beweisen, dass mit dem neuen Geschäftsmodell kein Schneeballsystem mehr betrieben worden sei. Dies könne etwa durch die nähere Erläuterung der geplanten Investitionen, der vorgesehenen Geldflüsse, des Zeitpunktes und der Höhe der bei seriöser Kalkulation zu erwartenden Renditen und deren geplante Verteilung auf Alt- und Neugläubiger geschehen. Pauschales Bestreiten eines Schneeballsystems im fraglichen Zeitraum reiche demgegenüber jedenfalls nicht aus. Erst wenn dem Schädiger diese Nachweise gelungen seien, sei es wiederum Sache des geschädigten Anlegers nachzuweisen, dass die Darstellungen des Schädigers nicht zutreffend seien.
Die Entscheidung des BGH ist – vor dem Hintergrund der oben dargestellten Grundsätze zur Darlegungslast – deshalb bemerkenswert, weil die im konkreten Fall maßgeblichen strafgerichtlichen Feststellungen zum Betreiben eines Schneeballsystems durch den Beklagten nicht unmittelbar den Anlagezeitraum des Klägers betrafen, sondern einen deutlich früheren Tatzeitraum. Der Kläger konnte unter Verweis auf das Strafurteil eigentlich nur vortragen, dass für seine Anlagezeit ebenfalls ein Schneeballsystem bestanden haben muss. Der BGH ging offenbar davon aus, dass das im Strafurteil festgestellte Sachgeschehen so stattgefunden habe (was vom Beklagten wohl auch nie ernsthaft bestritten worden ist) und auch auf die Zeit danach noch fortwirkte. Das hatte zur Folge, dass die erhöhte Darlegungslast des Beklagten auch für spätere Anlagezeiträume noch bestand und einfaches Bestreiten eines Schneeballsystems (hier für den Anlagezeitraum des Klägers) eben nicht genügte, sondern der Beklagte dezidiert hätte darlegen müssen, dass und weshalb sich der im Strafurteil festgestellte Sachverhalt so jedenfalls nicht mehr bestand, als der Kläger als Anleger hinzukam.
Der BGH hat den Fall zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird nunmehr den bisherigen Sachvortrag des Klägers – anders als bisher – als substantiiert zu betrachten haben. Damit wäre dann der Beklagte gehalten, nachvollziehbar darzulegen, dass und weshalb das im Strafurteil festgestellte Schneeballsystem nicht auch für den Anlagezeitraum des Klägers bestanden habe. Insofern hat das gegen den Beklagten ergangene Strafurteil faktisch eine viel weiterreichende Wirkung im Zivilprozess als der Beklagte vielleicht erwartet hätte.