Im Zusammenhang mit dem Widerruf eines Verbraucherdarlehensvertrages entschied der BGH durch Urteil vom 12. April 2022 (Az. XI ZR 179/21), dass bei Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/48/EG („Verbraucherkreditrichtlinie“) die Information über den Verzugszinssatz und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung nach Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB die Angabe des zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden konkreten Prozentsatzes erfordert. Damit folgt der BGH einer neueren Entscheidung des EuGH zur Verbraucherkreditrichtlinie und gibt insoweit, d. h. im Anwendungsbereich der Verbraucherkreditrichtlinie, seine bisherige Rechtsprechung auf.
Sachverhalt
Der klagende Darlehensnehmer kaufte im Juni 2016 einen Sportwagen, welchen er mit Hilfe eines Darlehens von der verklagten Bank finanzierte. Der Darlehensvertrag enthält folgende Bestimmung:
„Für ausbleibende Zahlungen werden die gesetzlichen Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz pro Jahr … berechnet.“
Die Allgemeinen Darlehensbedingungen der Beklagten ergänzen die Regelung dahin, dass der Basiszinssatz jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines Jahres ermittelt und von der Deutschen Bundesbank im Bundesanzeiger bekannt gegeben wird.
Nachdem der Kläger den Widerruf von seiner auf den Abschluss des Darlehensvertrages gerichteten Willenserklärung erklärte, den die Beklagte als verfristet zurückwies, klagte der Kläger auf Rückzahlung der Zins- und Tilgungsraten nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Rückübereignung des finanzierten Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und Erstattung der Rechtsanwaltskosten.
Entscheidung der Vorinstanzen
Der Kläger blieb in den Vorinstanzen erfolglos, wobei sich die Instanzgerichte an der bisherigen Rechtsprechung des BGH orientiert hatten.
Insbesondere beanstandeten die Vorinstanzen in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des BGH nicht, dass die Beklagte bei der Unterrichtung über den Verzugszinssatz und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung (Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB) nicht den zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden konkreten Prozentsatz angegeben hatte.
Die beklagte Bank konnte sich deshalb dem Berufungsgericht zufolge auf die Gesetzlichkeitsfiktion gemäß Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB berufen.
BGH: Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung
Der BGH widersprach dieser Begründung nun auf Grundlage der aktuellen Rechtsprechung des EuGH und musste in diesem Zusammenhang seine bisherigen Rechtsprechung aufgeben.
Nach Ansicht des BGH habe das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen, dass die Beklagte ihre aus § 492 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB resultierende Verpflichtung, über den Verzugszinssatz und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung zu unterrichten, ordnungsgemäß erfüllt habe.
An der bisherigen Rechtsprechung des BGH, wonach die Information über den Verzugszinssatz und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung nach Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB nicht die Angabe des zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden konkreten Prozentsatzes erfordere, könne angesichts des Urteils des EuGH vom 9. September 2021 (C-33/20 - Volkswagen Bank) nicht mehr festgehalten werden. Der EuGH hat in dem genannten Urteil entschieden, dass Art. 10 Abs. 2 Buchst. l der Verbraucherkreditrichtlinie dahin auszulegen sei, dass in dem Kreditvertrag der zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrages geltende Satz der Verzugszinsen in Form eines konkreten Prozentsatzes anzugeben sei.
Die dem Wortlaut nach offene nationale Regelung in Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB, welche lediglich die Unterrichtung über den „Verzugszinssatz“ erfordere, sei, so der BGH, auslegungsfähig, so dass bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung auf Grundlage des genannten EuGH-Urteils der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltende konkrete Prozentsatz anzugeben sei. Da dies hier nicht erfolgt sei, sei das Widerrufsrecht des Klägers bei dessen Ausübung nicht verfristet gewesen.
Aufrechterhaltung des Berufungsurteils wegen Vorleistungspflicht des Klägers
Der BGH hat die Revision dennoch zurückgewiesen, weil das Berufungsurteil aus anderen Gründen jedenfalls im Ergebnis richtig war.
Der Beklagten stehe nach § 358 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB gegenüber dem vorleistungspflichtigen Kläger ein Leistungsverweigerungsrecht zu, bis sie das finanzierte Fahrzeug zurückerhalten oder der Kläger den Nachweis erbracht habe, dass er das Fahrzeug abgesandt habe. Ein Vorgehen des Klägers entsprechend § 322 Abs. 2 BGB (Klage auf Zahlung nach Herausgabe des Fahrzeugs) sei nicht möglich, weil sich die Beklagte nicht im Annahmeverzug befunden habe. Letzteres stehe zwischen den Parteien fest, weil der Antrag des Klägers auf Feststellung des Annahmeverzuges bereits rechtskräftig abgewiesen worden sei.
Folgen für die Praxis
In Zukunft wird es im Rahmen von Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB nicht mehr genügen, den Verzugszinssatz lediglich abstrakt durch Wiederholung der gesetzlichen Regelung anzugeben; vielmehr ist der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltende konkrete Prozentsatz anzugeben. Bei bereits bestehenden Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen müsste also diese Pflichtangabe nachgeholt werden, um die Widerrufsfrist in Gang zu setzen.
Soweit Verbraucherdarlehensverträge nicht der Verbraucherkreditrichtlinie unterfallen, wird es allerdings bei der bisherigen Rechtslage und BGH-Rechtsprechung verbleiben. Denn es ist nicht anzunehmen, dass der BGH die Entscheidung des EuGH überobligatorisch auch zur Grundlage der Beurteilung von Verbraucherdarlehensverträgen macht, die vom Geltungsbereich des EuGH-Urteils gar nicht betroffen sind. Das impliziert schon die Formulierung in der jetzigen Entscheidung des BGH („hält der Senat im Geltungsbereich der Verbraucherkreditrichtlinie in Bezug auf Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge an seiner bislang entgegenstehenden Rechtsprechung nicht fest“). Jedenfalls aber hat der BGH im Zusammenhang mit dem sog. „Kaskadenverweis“, d. h. bei dem in Widerrufsbelehrungen enthaltenen Verweis auf § 492 Abs. 2 BGB in Kombination mit der beispielhaften Aufzählung von Pflichtangaben, sich bereits entsprechend positioniert und es für Verbraucherdarlehensverträge, die nicht der Verbraucherkreditrichtlinie unterfallen, bei der ausschließlichen Maßgeblichkeit des nationalen Rechts belassen (siehe BGH, Beschluss vom 31. März 2020 sowie vom 7. Mai 2020, XI ZR 581/18). Es ist daher höchstwahrscheinlich, dass der BGH das für die hier zu beurteilende Rechtsfrage so sehen wird.
Für die – praktisch relevanten – Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge spielt diese (Rechts-)Frage allerdings keine Rolle, weil die Angabe nach Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB dort nicht zwingend ist (siehe Art. 247 § 6 Abs. 1 S. 2 EGBGB).